Als am 13.11.2012 der Erste Bürgermeister, die muslimischen Verbänden und die Alevitische Gemeinde die mehrere Jahre lang ausgehandelten Verträge unterzeichneten, war das ein historischer Moment: Zum ersten Mal stellte ein Bundesland sein Verhältnis zu muslimischen Religionsgemeinschaften auf eine vertragliche Basis. Fragen zur Bestattung, zur Gefängnisseelsorge oder zum Rundfunkwesen werden genauso behandelt wie ein grundsätzliches Bekenntnis zu Demokratie und Geschlechtergerechtigkeit abgegeben wird.
Langfristig herausragen dürfte die Vereinbarung zum Religionsunterricht, die den Schritt vom „Religionsunterricht für alle in (ausschließlich) evangelischer Verantwortung“ hin zu einem „Religionsunterricht für alle in Übereinstimmung mit den Grundsätzen mehrerer Religionsgemeinschaften“ signalisiert. Möglich wurde dies auch, weil die BSB zuvor eine gleich lautende Vereinbarung mit der evangelisch-lutherischen Nordkirche in der zuständigen Gemischten Kommission beschlossen hatte. Konkret wurde zwischen BSB und den Religionsgemeinschaften vereinbart:
„Die Vertragsparteien sind sich einig in der Anerkennung der Bedeutung, des Wertes und der Chancen des an den staatlichen Schulen der Freien und Hansestadt Hamburg erteilten Religionsunterrichts in gemischtkonfessionellen Klassenverbänden und Lerngruppen. Sie streben deshalb im Rahmen von Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes eine Weiterentwicklung an, deren Ziel es ist, eine Verantwortungsstruktur für die Inhalte des Religionsunterrichts im Rahmen von Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes zu schaffen, die sowohl alle Religionsgemeinschaften im verfassungsrechtlichen Sinne gleichberechtigt am Religionsunterricht beteiligt, als auch einen gemeinsamen Unterricht von Schülerinnen und Schülern unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit ermöglicht, um so die bestehende dialogische Form des Religionsunterrichtes zu erhalten. Das Nähere wird gesondert geregelt.“
Um diese Ziele zu erreichen, sollen in den kommenden Jahren von einer Arbeitsgruppe Konzepte zur „Schulpraxis, zur Didaktik und den Rahmenplänen, zur Lehrerbildung und -zulassung sowie der institutionelle Rahmen für den Religionsunterricht“ entwickelt werden. Die rechtliche und faktische Umsetzung kann beginnen, sobald die Bürgerschaft dem Vertrag zugestimmt hat (was, wie schon bei den Verträgen mit der evangelischen und katholischen Kirche, etliche Monate dauern wird).
Wie entschlossen alle Beteiligten dieses umfangreiche Vorhaben nun angehen, zeigt sich an den vielen Gespräche und den Ergebnissen, die die vereinbarte Arbeitsgruppe in den seit Juni 2012 stattfindenden Vorgesprächen erreicht hat. Sie trifft sich monatlich, teils auf höchster Leitungsebene. Parallel tagen Untergruppen und die Religionsgemeinschaften untereinander, ohne Beteiligung der staatlichen Seite.
Als erstes Thema wurde die Lehrerbildung bearbeitet, weil ohne Lehrkräfte keine Umsetzung und schulpraktische Entwicklung erfolgen kann und alle Lehrerbildungsmaßnahmen länger dauern. Im Januar 2013, also nach nur einem halben Jahr, waren die Eckpunkte geklärt; die unter anderem folgendes vorsehen:
Zurzeit widmet sich die Arbeitsgruppe dem Kapitel „Schulpraxis“ und überlegt unter anderem, in welchen Formen erste schulpraktische „Gehversuche“ erprobt werden können. Ergebnisse sollen noch vor den Sommerferien vorliegen.
Jochen Bauer (Fachreferent Religion / BSB) 6.4.2013
Am 10.2.2014 hat die Jüdische Gemeinde Hamburg eine Vereinbarung unterschrieben, die die gleichberechtigte Verantwortung für den RU für alle in Hamburg impliziert. Die Formulierungen der Vereinbarung sind wortidentisch mit den zentralen Passagen zum Religionsunterricht in den Verträgen des Senats mit den Muslimen und Aleviten sowie dem entsprechenden Beschluss der Gemischten Kommission. Die VHRR begrüßt diesen Schritt sehr!
Für den Religionsunterricht in Hamburg beginnt mit dem Schuljahr 2014/15 eine neue Ära: Erstmals werden die Inhalte des Religionsunterrichts an zwei Schulen in Hamburg gleichberechtigt von der Jüdischen Gemeinde Hamburg, der Nordkirche,den muslimischen Verbänden und der alevitischen Gemeinde verantwortet.
Der Erprobungsphase, angelegt über 5 Jahre, ist eine einjährige Vorbereitungs- und Planungsphase vorausgegangen, in der die zukünftig unterichtenden Lehrkräfte mit Beteiligung aller verantwortlichen Religionsgemeinschaften sowie der BSB, dem LI und dem PTI didaktische Prinzipien diskutiert und schulübergreifend erste Unterichtseinheiten entwickelt haben. Für die Entwicklung von weiteren Unterrichtseinheiten stellen auch weitere bisher im GIR vertretene Religionsgemeinschaften (Buddhismus, Hinduismus, Baha'i) ihre theologisch-religionspädagigischen Expertisen in Form von Beratungsangeboten zur Verfügung. Geplant ist eine regelhafte Evaluation der Erprobung durch das ifbq (Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung). Wir sind gespannt auf die weiter Entwicklung!
Der Fachseminarleiter und Fachreferent für Evangelische Religion in Hamburg, Jochen Bauer, analysiert in einem 29-seitigen Artikel in der “Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht” die rechtlichen Grundlagen und Vorraussetzungen für Religionsunterricht in Deutschland und die Weiterentwicklung des Hamburger RUs für alle. Bauer_ZevKR_59_3-4_227-256.pdf